120 Jahre Anwalt- und Notarverein Dortmund (1887-2007)

120 Jahre sind eine stolze Zeit ‚Äì wenn man aber berücksichtigt, dass den heute Geborenen eine Lebensdauer von 100 Jahren zugebilligt wird, so existiert der Verein gerade mal ein Menschenleben. Und doch hat diese Zeit Veränderungen mit sich gebracht, die wohl niemand für möglich gehalten hat.
1887 gehörte Dortmund zu Preußen, es regierte Kaiser Wilhelm I. Das Land befand sich immer noch im Taumel der Euphorie über den Sieg über Frankreich und die Reichseinigung 1871. Tatkräftig wurde aus dem preußischen Agrarstaat mit Manufakturbetrieben ein straff geführtes Industrieland mit einer rasch steigenden Bevölkerung. Dortmund profitierte von Kohle und Stahl und war wohl das, was man heute eine „boomtown‚Äú nennen würde. Die Einwohnerzahl stieg von ca. 60.000 im Jahre 1887 über 100.000 in 1894 auf über 540.000 in 1929. Die Stadt, die sich 1887 weitgehend auf den Bereich der heutigen Innenstadt beschränkte wucherte und „eroberte‚Äú die umliegenden Dörfer der Provinz Westfalen, die heute allesamt Vororte bilden.

Ob das Leben in der „guten alten Zeit‚Äú so angenehm war, wie der Dorfcharakter der Stadt suggeriert darf bezweifelt werden. Erste Automobile (seit 1884) und das Telefon (1876) sowie die Eisenbahn (1847) sind Anfänge, aber in den Haushalten gab es weder Zentralheizungen, noch fließendes Wasser oder Elektrizität, keine Kühlschränke, kein Radio.

Aber es gab immerhin zwei Gerichte ‚Äì das königliche Amtgericht und das Landgericht, dem Justizministerium in Berlin unterstehend. Und wo Gerichte sind, das sind Anwälte nicht fern ‚Äì 18 an der Zahl, die in Dortmund praktizierten, 12 von ihnen zugleich auch Notare (s. Liste am Ende). Im OLG Bezirk Hamm waren damals 249 Anwälte insgesamt registriert (im LG Bezirk Dortmund, der auch Unna, Werl und Soest mit umfasste weitere 5; weibliche Anwälte waren erst ab 1905 zugelassen).

Die Gründung des Vereins liegt in jeder Hinsicht völlig im Dunkel der Geschichte ‚Äì sämtliche Unterlagen, Primärquellen, sind vernichtet oder verloren gegangen. Die Rekonstruktion ist mühsam, denn die einschlägigen Archive geben nicht viel her.

Wenn man es recht betrachtet, so muss man leider sagen, dass es für das Gründungsjahr 1887 nur sehr dürftige Hinweise gibt. Hauptquelle ist das Anwaltsverzeichnis des DAV des Jahres 1924, wo der „Anwaltverein Dortmund e. V.‚Äú mit 66 Mitgliedern unter dem Vorsitzenden Dr. Weber, Ostenhellweg 26, geführt wird und den Klammerzusatz (gegr. 1887) enthält.

Herr Kollege Philippi hat anlässlich der 100-Jahr-Feier auf ein Verzeichnis der „Rechtsanwälte, Notare und Gerichtsvollzieher‚Äú von 1929 zurückgegriffen, wo eine „Anwalt‚Äì und Notarvereinigung‚Äú (ohne e. V.) auftaucht. Auch hier gibt es den Klammerzusatz.

Fündig geworden sind wir in den Adressbüchern der Stadt Dortmund, die es fast lückenlos seit 1806 gibt. In diesen tauchen nicht nur Namen und Anschriften auf, sondern beispielsweise auch Institutionen (wie LG oder AG) und Vereine jeder Art.

Erstmals wird im Adressbuch der Stadt (zugänglich im Stadtarchiv) von 1896 der „Dortmunder Anwaltverein‚Äú erwähnt; Vorsitzender: RAuN Holle; Versammlungslokal: Römischer Kaiser; Zweck des Vereins: Förderung der gemeinsamen Bestrebungen der beim Landgerichte Dortmund und den Amtsgerichten seines Bezirks zugelassenen Anwälten .

Wäre der Verein als wirklicher „Verein‚Äú bereits früher gegründet worden, so wäre er auch ‚Äî das ist eigentlich der zwingende Schluss ‚Äî schon früher erwähnt worden, denn auch vor 1896 gibt es etliche Vereine, die in den Adressbüchern aufgeführt sind.

Es ist daher zu vermuten, dass der „Anwaltverein‚Äú eher eine lockere Vereinigung, vielleicht mehr ein Stammtisch, war, in der die damaligen politischen Umwälzungen in Bezug auf das reichseinheitliche Recht diskutiert und lokalpatriotische Reden geschwungen wurden. Zumal: bei nur 18 Anwälten, die sich sicher alle persönlich kannten und treffen konnten, wann sie wollten ohne das in die Form eines „Vereins‚Äú zu bringen.
Auf der anderen Seite war man 1924 deutlich näher am Gründungsjahr 1887 und konnte vielleicht noch auf schriftliche Unterlagen oder „Gewährsträger‚Äú zurückgreifen.

Immerhin nahmen drei Dortmunder Anwälte am XI. Deutschen Anwaltstag in Hamburg 1890 teil, was durch die Anwesenheitsliste belegt wird. Der DAV war 1871 in Bamberg gegründet worden, Mitlieder waren aber nicht die Vereine ‚Äì wie heute -, sondern die einzelnen Anwälte.

1908 ‚Äî nach Einführung des BGB mit seinen Vorschriften zum Vereinsrecht und Installation des VR wurde der Verein eingetragen unter der Nummer 67 mit einem siebenköpfigen Vorstand, darunter einem „Bibliothekar‚Äú.

Die „Gleichschaltungsbemühungen‚Äú der Nazis führten auch beim Dortmunder Verein am 14.12.1933 zu einem am 8.10.1934 eingetragenen Auflösungsbeschluss. Die Umsetzung zog sich allerdings hin‚Äîwarum wissen wir nicht. Der erste Liquidator verstarb und wurde noch im Juli 1939 durch einem weiteren ersetzt.
Am 25.5.1946 fand im AG-Saal 129 eine Versammlung von Rechtsanwälten statt, die eine Neugründung beschlossen. Am 26.8.1946 ist der Verein wiederum ins VR eingetragen worden. Er zählt im Jubiläumsjahr rund 800 Mitglieder und ist Mitglied im DAV.


 

Vorsitzende des Vereins:

  • Vorstand: Dr. Foller (Vors.); Dr. Kässmann (Stell. Vors.); Diessel (Schriftf.); Dr. F. Marx (Kassenw.); Dr. Jacob (Bücherwart)
  • Dr. Foller als Vorsitzender wiedergewählt (1. 2. 1956)
  • Neuer Vorsitzender Dr. Hans Ellerkmann wg. Erkrankung Foller (10.4.1956)
  • Vorsitzender Karl-Reinhard Ortmann (07.12.1970)
  • Vorsitzender Dr. Manfred Möhlmeier (04.12.1980)
  • Vorsitzende Dr. Regina Rogalski (13.4.1988)
  • Vorsitzender Hans Dieckhöfer (23.11.1994)
  • Vorsitzender Hans-Joachim Pohlmann (19.11.2002)
  • seit 01.01.2013: Vorsitzender Christoph Krekeler (20.11.2012)

 

 

Anwälte (Notare sind mit ¬∞ gekennzeichnet) in Dortmund 1887:

  • Justizrat Victor Melchior¬∞ (Nicolaistr. 2, ca. 1833 geboren; 1898 war er noch Notar)
  • Justizrat Wilhelm Holle¬∞ ( Eisenmarkt 2, Mitglied im Vorstand der RAK Hamm; 1898 war er noch Notar; ca. 1822 geboren; später „Geheimer Justizrath‚Äú)
  • Justizrat Emil Viebahn¬∞ (Wißstraße 23)
  • Justizrat Nestor Kindermann¬∞ (Westenhellweg 4)
  • Justizrat Humperdinck ¬∞ (1888 feierte er 50jähriges Dienstjubiläum)
  • Julius van Eicken¬∞ (8.10.1835 ‚Äì ca. 1898; seit 1874 in Do: Balkenstr. 29; 1880-1890 Arndtstr. 5, ab 1894 Heiliger Weg 37)
  • Karl Ellerbeck¬∞ (Ostwall 2, verstorben um 1897)
  • Gustav Fenner¬∞ (Heiliger Weg 8, aus Notaramt im Sommer 1900 ausgeschieden)
  • Dr. Gustav Gottschalk (4.12.1851, jüdischer Abstammung, ev., 1879 als RA in Do zugelassen; ab 1900 Justizrat, ab 1890 Notar; ab 1888 Betenstr. 15, 1905-1918 Viktoriastr. 7, 1919-1933 Arndtstr. 75; 1896-1910 Stadtverordneter)
  • Karl Tewaag¬∞ (Vicoriastr. 12, 1898 war er noch Notar)
  • Vogt¬∞
  • Friedrich Kohn (Kleppingstr. 27; ab 1894 Arndtsr. 2)
  • Ludwig Mausen (Junggesellenstr. 4 ‚Äì im Hause der verwitweten Mutter; war 1898 Notar)
  • Wilhelm Kramberg¬∞ (6.1.1853-20.5.1929; 1877 Referendar; 1888 war er 2. Vorsitzender des Gewerbevereins; wohnte ab 1877 in Do: 1888-1894 Markt 10, 1905-1929 Märkische Str. 5; war 1898 Notar)
  • August (?) Nolten (Kuhstr. 6?)
  • Wilhelm Westhoff (Balkenstr. 34, war 1898 Notar)
  • Paul Doepner (Münsterstr. 18, neu zugelassen 1886, war 1898 Notar)
  • August Geselbracht (8.1.1857-nach 1931; ab 1887 in Do: 1894 Kaiserstr. 11, dort ab 1905 Büro, privat Umzug nach Prinz-Friedrich-Karl-Str. 19; war 1903 Notar)

 


Dortmund, den 19.10.2007
H.J.Pohlmann

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Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte und Notare während der Zeit des Nationalsozialismus – Am Beispiel Dortmund –

Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte